AG Krijnse Locker





Die Kraft der Bilder

Mit der Elektronenmikroskopie und anderen bildgebenden Verfahren beobachtet Prof. Dr. Jacomina Krijnse Locker direkt in der Zelle, wie Viren ihren Wirt umprogrammieren. Dabei sucht sie nach Schwachstellen, um die Krankheitserreger auszuschalten.

Wie vermehren sich Viren? Eine Frage, die in der Corona-Pandemie sehr viele Menschen gestellt haben. Wer nach tiefergehenden Antworten sucht, merkte schnell: Bis ins letzte Detail kann es die Wissenschaft noch nicht erklären.

Viren kapern ihre Wirtszellen, soviel ist sicher. Sie schaffen es, mit einem winzigen Erbmaterial, die Zelle so zu manipulieren, dass diese massenhaft neue Viren produziert und freisetzt. Membranen der Wirtszellen spielen dabei eine Rolle und ebenso das Zytoskelett, Strukturen also, die Zellen ein Gerüst verschaffen. Aber was passiert in den Wirtszellen genau? Wie unterscheiden sich die Vermehrungsstrategien diverser krankheitsauslösender Viren? Und: Gibt es in den Abläufen Punkte, an denen sich die Virusvermehrung stoppen ließe – einen möglichen Therapieansatz also?

Viren: „faszinierend und furchteinflößend“

Mit solchen Forschungsfragen beschäftigt sich Prof. Dr. Jacomina Krijnse Locker seit den 1990er Jahren. Ihre Erkenntnisse gewinnt sie, indem sie die Viren in ihren Wirtszellen direkt beobachtet: unter dem Elektronenmikroskop (EM), mit fortschrittlichen Lichtmikroskopen und mit der Kombination aus beidem, der korrelativen Licht- und Elektronenmikroskopie (CLEM). „Faszinierend und furchteinflößend“ sei die Durchschlagskraft bestimmter Viren, schrieb sie kürzlich in einem Editorial für die Fachzeitschrift „Molecular Microbiology“. Die SARS-CoV-2-Pandemie hat das nochmals bewiesen und die Dringlichkeit der Forschung im Feld von Krijnse Locker unterstrichen.

Die 64-jährige Elektronenmikroskopie-Expertin stammt aus in den Niederlanden. Schon bei ihren ersten beruflichen Stationen in der Veterinärmedizin in Utrecht beschäftigte sie sich mit Corona-Viren in der Arbeitsgruppe von Prof. Peter Rottier. „Außerhalb der Veterenärmedizin hat den Corona-Viren lange Zeit kaum jemand Beachtung geschenkt“, berichtet die Leiterin der „Forschungsgruppe Elektronenmikroskopie von Pathogenen“ am Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen bei Frankfurt am Main. „Sie waren nur für schwerere Erkrankungen, beispielsweise bei Schweinen oder Katzen, wichtig und galten bei Menschen nur als harmlose Schnupfen-Viren”. Ihre frühe Expertise für Corona ist für Krijnse Lockers Arbeit heute ebenso nutzbringend wie ihre Kenntnisse über das DNA-Virus Vaccinia – ein Pockenvirus –, über Flaviviren, von denen mehrere schwerwiegende Krankheiten in tropischen Ländern auslösen oder über das HI-Virus.

Die Herausforderung beginnt mit der Vorbereitung der Proben

In der Elektronenmikroskopie bringt Erfahrung einen Vorsprung. Hier geht es darum, wissenschaftlich aussagekräftige Bilder von Partikeln zu erzeugen, die sehr viel kleiner sind als Zellen – und dazu zählen Viren. Die forscherische Schwierigkeit beginnt lange vor der eigentlichen Betrachtung des Zellinnenlebens im EM. Sie liegt in der Vorbereitung der Proben.

Die Strukturen, die Forschende später sehen möchten, müssen überhaupt erst einmal richtig erkannt werden – und zwar in einer Mikrowelt, in der weniger als ein Nanometer (ein Millionstel Millimeter) riesige Unterschiede ausmacht. Auch sollten sie durch die aufwendige Bearbeitung nicht zerstört oder verändert werden. Schließlich wollen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die wahren Abläufe in der Wirtszelle entdecken und keine Artefakte: durch die Vorbereitung entstandene, künstliche Gegebenheiten, die nicht der Realität entsprechen.

Virale Erreger von Tropenkrankheiten im Vergleich

Die passenden Bedingungen für die Proben zu finden ist mitunter sehr zeitaufwendig. Wochen und Monate können vergehen, ehe auf dem Bildschirm eines EM etwas auftaucht, das sich wissenschaftlich auswerten lässt. In den vom LOEWE-Zentrum DRUID geförderten Projekten ihrer Professur beschäftigt sich Jacomina Krijnse Locker mit ihrem Team mit einer speziellen Herausforderung: In Kooperation mit weiteren DRUID-Gruppen sollen verschiedene Viren untersucht und auch verglichen werden, die bisher unzureichend behandelbare tropische Krankheiten auslösen. Beispielsweise das Zika-Virus, das West-Nil-Virus, das Dengue-Virus oder das Rift-Valley-Fever-Virus. Viele dieser Erreger zählen zu den Flaviviren, mit denen Krijnse Locker ebenfalls schon früher gearbeitet hat.

In ihrem Team forschen zwei technische Assistentinnen, zwei Post-Doktorandinnen, eine Doktorandin und ein Doktorand. „Wir versuchen, Standard-Prozeduren als Basis für die Untersuchung verschiedener Viren zu etablieren“, erklärt Krijnse Locker. „Damit sind wir schon recht weit. Dennoch müssen solche Arbeitsprotokolle dann immer noch für die unterschiedlichen Viren und die spezielle Fragestellung angepasst werden.“

Wichtige Erkenntnisse zu SARS-CoV-2 während der Pandemie

2020 erhielt Jacomina Krijnse Locker die DRUID-Professur „Vernachlässigte Infektionskrankheiten mit dem Schwerpunkt Imaging“ an der Universität Gießen gemeinsam mit dem PEI nach dem sogenannten Jülicher Modell. Das Besondere daran: Sie arbeitet mit ihrer Gruppe am PEI und lehrt parallel an der Universität Gießen im Fachbereich 08 für Biologie und Chemie. Gerade als sie begann ihr Labor aufzubauen, kam der erste Corona-Lockdown. Hier zahlte sich die langjährige Corona-Expertise aus. Krijnse Locker konnte mit SARS-CoV-2 sofort erfolgreich loslegen und wichtige Einzelheiten über das Spike-Protein herausfinden.

Wobei „loslegen“ die Atmosphäre in einem EM-Labor kaum richtig beschreibt. Wer hier arbeitet, braucht eine ruhige Hand und viel Ausdauer. Nach der Vorbereitung der Proben besteht die nächste Hürde darin, korrekt zu interpretieren, was die Bilder auf dem Monitor bedeuten. Ist das wirklich eine Membranstruktur um ein Virus? Oder gehört sie zur normalen Wirtszelle? Womöglich betrachtet man gerade etwas, das mit der Forschungsfrage gar nichts zu tun hat? Glaubt man, etwas Wichtiges gesichtet zu haben, folgt die nächste Stufe: Die Ergebnisse müssen – teilweise mit anderen mikroskopischen Methoden – überprüft und abgesichert werden. Es dauert also, bis ein Bild eingefangen ist, das Forschenden tatsächlich hilft, krankmachende Viren besser zu verstehen.

Niederländischer Sonderweg in die Forschungskarriere

Die Begeisterung für diesen Forschungsansatz habe sie sofort gepackt, als sie das erste Mal vor einem Mikroskop saß, sagt Jacomina Krijnse Locker. Zuvor schon hatte sie festgestellt, das sie sich in ihrer Laufbahn mit Krankheitserregern beschäftigen möchte. Direkt nach dem Abitur war das noch nicht so klar.

„Ich wusste noch nicht recht, was ich werden wollte und absolvierte erst einmal eine Lehre als technische Assistentin“, berichtet sie. Dabei packte sie der Forschergeist. Sie schlug einen akademischen Weg ein, der in den Niederlanden möglich ist und promovierte vier Jahre über Corona-Viren an der Universität in Utrecht, ohne studiert zu haben. Danach arbeitete sie am „Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie“ (EMBL) in Heidelberg und habilitierte an der Universität Heidelberg, wo sie später die Core Facility Elektronenmikroskopie leitete. Von 2015 bis 2019 verantwortete sie die Einheit der Elektronenmikroskopie am Institut Pasteur in Paris.

Deutschland, sagt sie, „bietet ein sehr gutes Umfeld für Elektronenmikroskopie.“ Es gebe viele topmoderne Geräte und die entsprechenden Spezialistinnen und Spezialisten, um sich gegenseitig auf dem Laufenden zu halten. Das DRUID-Projekt ermögliche einen offenen Austausch: „Wir finden einander und kooperieren unkompliziert.“ Zusammen, statt abgeschottet hinter einer Labortür: Diese Grundhaltung schätze sie. Sie hilft dabei, das übergeordnete Ziel von DRUID zu erreichen: potentielle Zielmoleküle zu entdecken, um Medikamente oder Diagnostika für schwere Tropenkrankheiten zu finden.

Viele wegweisende Erkenntnisse in der Virologie sind brandneu

Viren direkt in der Wirtszelle zu beobachten hat dafür gleich einen doppelten Nutzen, sagt Krijnse Locker: „Wir lernen dadurch etwas über das Virus und über die Zelle.“ Das erhöht die Aussichten, medizinisch relevante Zielpunkte zu finden, welche die Viren zerstören ohne dem Wirt zu schaden. Aktuell beschäftigt sich Jacomina Krijnse Locker vor allem damit, wie Viren ihre Wirtszelle wieder verlassen, um dann weitere Zellen zu infizieren.

Wie in der Wissenschaft üblich, werfen neue Erkenntnisse gleich wieder neue Fragen auf. „Wie manipulieren Viren ihren Wirt so, dass alle Schritte, die das Virus zur Vermehrung braucht, maximal effizient verlaufen? Dass in der Wirtszelle alles zur richtigen Zeit am richtigen Ort stattfindet? Und wie schaffen es die Viren zugleich, dass die Wirtszelle nicht zu schnell stirbt“, fasst Krijnse Locker zusammen. Es gibt im Elektronenmikroskop noch viel zu entdecken.



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