Der Tarnung auf der Spur

Flaviviren rufen Erkrankungen hervor, die manchmal harmlos sind – manchmal jedoch tödlich verlaufen oder schwere Behinderungen auslösen. Medikamente gibt es bisher nicht. Prof. Dr. rer. nat. Eva Herker versucht die Viren anzugreifen, wenn sie sich gerade vor dem Immunsystem verstecken.

Einen echter Fortschritt in der medizinischen Versorgung – Prof. Dr. rer. nat. Eva Herker hat ihn in ihrer Laufbahn bereits miterlebt. Nach ihrer Doktorarbeit begann die Biochemikerin 2006 an Hepatitis-C-Viren zu forschen. Damals war die von den Viren verursachte Leberentzündung kaum heilbar, wenn sie chronisch verlief – was sie in acht von zehn Fällen tat. Den Betroffenen drohte eine Zerstörung der Leber, eine Zirrhose, und ihr Risiko für Leberkrebs stieg deutlich.

Die Therapie war langwierig und belastend für die Patient:innen, die Erfolgsaussichten waren mäßig. 2010 dann wurden Protease-Inhibitoren als Wirkstoffe für die Behandlung zugelassen und zügig weiterentwickelt. Seit 2014 beträgt die Heilungsrate bei Hepatitis C nun 95 Prozent. Eine Therapie ist nach wenigen Wochen durchgestanden. Zumindest in den hochentwickelten Ländern hat Hepatitis C seither viel von ihrem Schrecken verloren.

Dengue, Gelbfieber, Zika und Co. sind alle verwandt

Krankheiten ihren Schrecken nehmen: Das gehört zu den Grundmotiven hinter der Forschung im LOEWE-Zentrum DRUID. Mit ihrer vom LOEWE-Zentrum geförderten Professur arbeitet Eva Herker mit ihrem 6-köpfigen Team an der Universität Marburg im Bereich der Viren daran mit. Ihre tiefgehende Erfahrung mit dem Hepatitis-C-Erreger übernimmt sie dabei nahtlos in die Forschung zu vernachlässigten Tropenkrankheiten, die besonders oft arme Menschen schwer treffen. Denn: Die Viren, mit denen sich die 45-Jährige innerhalb des DRUID-Projekts beschäftigt, ähneln den Hepatitis-C-Viren stark.

Dengue-Viren, Gelbfieber-Viren, Zika-Viren, West-Nil-Viren sowie das Frühsommer-Meningoenzephalitisvirus stehen auf Herkers To-Do-Liste. Sie alle zählen zu den Flaviviren und sind gekennzeichnet durch ein winziges Genom, das von einem sogenannten RNA-Plus-Strang gebildet wird. Diese Plusstrang-RNA haben auch Hepatitis-C-Viren. Sie sind keine Flaviviren im engen Sinn, fallen aber in dieselbe Virusfamilie, die Flaviviridae. Flaviviren können schwere Infektionen auslösen, an denen Betroffene sterben oder sie nur mit schweren Behinderungen, wie Hirnschäden oder Lähmungen, überleben.

Die Viren lassen den Wirt für sich arbeiten

Herkers Ziel ist es, Ansatzpunkte für potenzielle Wirkstoff-Kandidaten gegen die ausgewählten Flaviviren zu finden. Sie untersucht dafür, wie die Viren den Lipidstoffwechsel ihrer Wirte so verändern, dass ihnen die Wirtszelle kleine lipidhaltige Vesikel – eine Art Kapseln – erzeugt, in denen er sie massenweise vermehrt. Lipide sind Stoffe, die sich im Wasser nicht lösen. Sie bilden wesentliche Bestandteile der Hüllstrukturen von Zellen, der Membranen.

Die Flaviviren, die Herkers Arbeitsgruppe untersucht, vermehren sich alle in Vesikeln am selben Platz in der Zelle, am sogenannten Endoplasmatischen Retikulum. Das ist bei Hepatitis-C-Viren ähnlich, die Versikel haben allerdings eine andere Struktur. „Die Gemeinsamkeit der von uns bearbeiteten Flaviviren macht es wahrscheinlicher, einen Ansatzpunkt zu finden, der alle in dieser Gruppe hemmt“, erklärt die Biochemikerin.

Veränderungen im Mikroskop verfolgen

Wie das funktionieren könnte? Die Vesikel um die Viren-RNA dienen nicht nur der Vermehrung. In ihnen verbergen sich die Viren auch vor dem Immunsystem der Wirtszellen. „Der Organismus bemerkt gar nicht, dass er infiziert ist“, berichtet Eva Herker. Ließe sich die Bildung der Vesikel mit einem Medikament stoppen, so die forscherische Hoffnung, könnte der Körper die Flaviviren entdecken und mit seiner eigenen Abwehr bekämpfen. Um zu prüfen, ob diese Theorie den wahren Abläufen entspricht, verändert Herker unter anderem die Wirtszellen und untersucht, was passiert, wenn Viren auf Wirtszellen treffen, in denen bestimmte Stoffwechselprozesse nicht mehr ablaufen können.

Zur Auswertung ihrer Experimente nutzt Herker oft bildgebende Verfahren wie die Fluoreszenzmikroskopie oder die Elektronenmikroskopie: letztere in einer Kooperation mit Professorin Jacomina Krijnse Locker. Mit ihr teilt Eva Herker auch die Faszination für das Existenzmodell von Viren, denn trotz ihrer extrem einfachen Bauweise bedeuten sie für die Wissenschaft eine enorme Herausforderung. „Sei es Zika, West-Nil-Fieber, Dengue-Fieber, Gelbfieber oder  Frühsommer-Meningoenzephalitis: Gegen keine dieser Krankheiten existieren bisher ursächliche Behandlungsmöglichkeiten“, betont Herker. „Das liegt daran, dass wir im Einzelnen immer noch viel zu wenig darüber wissen, wie Flaviviren die Wirtszellen beeinflussen.“

Welche Rolle spielt Unterernährung bei der Infektion?

Bei ihrer Suche nach Gemeinsamkeiten zwischen mehreren Vertretern dieser Viren-Gattung hat Herker auch immer die Unterschiede im Blick. Es könnte einer dabei sein, der sich als Schlüssel entpuppt, um das gesamte Viren-Wirt-System besser zu verstehen. Unter anderem darum steht das Frühsommer-Meningoenzephalitisvirus auf Herkers Liste. Es wird von Zecken übertragen und nicht von Mücken, wie die anderen. Hat es deswegen andere Anforderungen an den Wirtsstoffwechsel?

Damit Eva Herker ihre wissenschaftlichen Fragen in den verschiedenen Viren untersuchen kann, braucht es Methoden, die schnell sind und paralleles Arbeiten ermöglichen. Viele Verfahren, die Herkers Gruppe nutzt, sind erst seit wenigen Jahren in der Zellbiologie so anwendbar. Und Herker plant weiter: „Mich interessiert auch, wie sich der Stoffwechsel-Zustand des Wirts auf den Vermehrungserfolg der Viren auswirkt“, sagt sie. Schließlich treffen virale Tropenkrankheiten unterernährte Menschen häufig besonders schwer. Unterernährung verändert den Fettstoffwechsel der Zellen. Erleichtert es den Viren die Ausbreitung? Wenn ja, wie?

Der Wunsch: Biochemie mit medizinischer Relevanz

Eva Herker will es herausfinden und arbeitet daran, die Organe, die von Flaviviren oft am stärksten angegriffen werden – Leber und Gehirn – im Labor nachzubilden. Organiode heißen solche Organmodelle, die sich heutzutage aus Stammzellen heranziehen lassen. In ihnen lassen sich auch unterschiedliche Gesundheitszustände nachahmen – wie der spezielle Fettstoffwechsel bei Unterernährung.

„Die medizinische Relevanz in meiner Forschung ist mir wichtig“, sagt Herker. Doch sortiert sie sich in der Arbeitskette, in der ein medizinischer Fortschritt entsteht, gerne ganz am Anfang, bei der Grundlagenforschung, ein. „Ideen liefern, die soweit ausgereift sind, dass andere sie aufgreifen können“, das sei der Sinn und Zweck ihrer Wissenschaft.

Aus Nürnberg stammend, hat Eva Herker zunächst in Potsdam Biochemie studiert. Weil sich der Studiengang dort für ihre Interessenslage zu sehr auf die Pflanzenwelt konzentrierte, wechselte sie nach dem Vordiplom nach Tübingen, machte dort ihr Diplom und ihre Doktorarbeit. Dabei stand der Zelltod von Hefen, einzelligen Pilzen, im Fokus ihrer Untersuchungen.

Lernen von anderen Bereichen

Auf Dauer war auch das noch zu weit weg von der Medizin, fand Herker und bewarb sich auf ein Stipendium, das gezielt junge Wissenschaftler:innen fördert, die ihr Forschungsgebiet wechseln möchten und bereit sind, das im Ausland zu tun. So kam Eva Herker 2006 an die Gladstone Institutes in der San Francisco Bay Area in den USA – und zu den Hepatitis-C-Viren.

Zurück in Deutschland beschäftigte sie sich als Leiterin einer Nachwuchsgruppe am Leibniz-Institut für Virologie in Hamburg weiter mit diesen krankheitsauslösenden Viren. Seit Dezember 2018 ist Eva Herker Professorin für molekulare Virologie an der Universität Marburg. Hier arbeitet sie teilweise weiter mit Hepatitis-C-Viren und über das DRUID-Projekt verstärkt mit den Flaviviren. „Ein Gedanke von DRUID ist es ja, Dinge, die in einem Bereich schon funktionieren, wenn möglich auf andere Bereiche zu übertragen“, berichtet Herker. Ihre Expertise über Hepatitis-C-Viren liefert dafür eine breite Basis.



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