Passion für unbekannte Wege

Frisch habilitiert leitet PD Dr. Simone Häberlein eine Nachwuchsgruppe, die tropische Wurmparasiten erforscht. Die Biologin setzt dabei auf neueste Methoden – und ganz klassischen Forschungsgeist.

Kreativ sein: So beschreibt Simone Häberlein, was sie an ihrer Tätigkeit am meisten fasziniert. Wer jetzt denkt, Simone Häberlein sei Malerin, Designerin oder Buchautorin, liegt daneben. Die 40-jährige Frau aus Mittelfranken ist Biologin, PD Dr. rer. nat., habilitiert in Zoologie und Molekularbiologie und betreibt Grundlagenforschung. Parasitäre Würmer sind ihr Fachgebiet. Ihre Laufbahn als Wissenschaftlerin dreht sich darum, mehr darüber herauszufinden, wie diese Parasiten ihren Wirtsorganismus manipulieren und wie – umgekehrt – der Wirt auf das Wesen einwirkt, das ihn da befallen hat.
Diese Interaktion untersucht Simone Häberlein mit ihren Mitarbeitenden auf der molekularen Ebene, also in einem Bereich, in dem das bloße Auge schon lange nichts mehr sieht und in den auch die wenigsten Mikroskope noch vordringen. Wer in diesem Feld arbeitet, benötigt ein hohes Abstraktionsvermögen und eine sehr gute Fähigkeit zur Analyse.
Das sind aber nicht die Begriffe, die Simone Häberlein zu ihrem Tun einfallen. Sie betont die Kreativität. „Als Wissenschaftlerin habe ich die Freiheit, nach offenen Fragen zu suchen und mir Wege zu überlegen, wie sich diese beantworten lassen“, sagt sie.

Traumberuf: Wissenschaftlerin
Eigene Ideen entwickeln, selbst an deren Umsetzung und Überprüfung arbeiten, in Gebiete vordringen, die noch niemand kennt – kreativ sein eben. „Ich bin begeistert von den Entfaltungsmöglichkeiten, die eine Laufbahn in der Wissenschaft eröffnet“, sagt Simone Häberlein. „Diesen Blickwinkel möchte ich auch den Studierenden vermitteln.“ In ihren aktuellen, vom LOEWE-Zentrum DRUID und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekten beschäftigt sie sich mit Genexpressionsanalysen beim Leberegel, Fasciola hepatica.
Sie und ihr Team untersuchen dabei eine bestimmte Klasse von Enzymen, die Proteinkinasen, und möchten klären, welche dieser Kinasen wo im Körper des Parasiten unter bestimmten Umgebungsbedingungen gebildet werden. Omics-Analysen heißen solche Methoden in der Biologie. Sie erlauben es, sehr komplexe Abläufe in Zellen darzustellen und erst seit wenigen Jahren sind sogar zweidimensionale Analysen, das heißt im räumlichen Kontext, technisch möglich. „Wir sind meines Wissens die erste Arbeitsgruppe weltweit, die das bei Leberegeln macht“, berichtet Häberlein. Sie erwartet sich „wegweisende Ergebnisse für die nächsten zehn Jahre.“
Das Fernziel hinter Häberleins LOEWE-Projekt ist ambitioniert: Das LOEWE-Zentrum DRUID, vom Bundesland Hessen finanziert, soll einen Beitrag leisten, um neue Therapien gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten zu entwickeln, unter denen vor allem die ärmere Bevölkerung in Schwellen- und Entwicklungsländern leidet. Die Fasziolose, eine Infektion mit Leberegeln, steht auf der Liste jener Krankheiten, für welche die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen besonders dringenden Handlungsbedarf sieht.

Inspiration aus der Krebsmedizin
Häberleins DRUID-Projekt heißt „Das Fasciola-Kinom als Quelle für neue Wirkstofftargets“. Ihre Ausgangshypothese: Ließe sich eine Proteinkinase finden, ohne die der Leberegel nicht überleben kann, wäre das ein möglicher Ansatzpunkt, um ein Medikament zu entwickeln, das Leberegel tötet. Wie sie darauf kommt? Die Inspiration lieferte die Krebstherapie. Dort werden Medikamente gegen Proteinkinasen, die Kinasehemmer, schon eine ganze Weile eingesetzt, um Krebszellen zu zerstören. Mit der kreativen Übertragung dieses Konzepts auf den Wurmparasiten Schistosoma wurden in Gießen in der Vergangenheit bereits Erfolge erzielt. Eine Weiterentwicklung für die Fasziolose, eine vielversprechende neue Methodik, ein erfolgreicher Projektantrag für eine DRUID-Nachwuchsgruppe und seit kurzem läuft die Arbeit.
Mit einer Doktorand:innenstelle und einer halben Stelle für Technische Assistent:innen unterstützt DRUID Häberleins Nachwuchsgruppe. Insgesamt hat die Molekularbiologin damit 5 Doktoranden und Doktorandinnen, eine medizinisch-technische Assistentin und einen Chemielaboranten im Team. Es ist interdisziplinär und international aufgestellt. Neben Biologinnen und Biologen sind eine Tiermedizinerin und eine Biophysikerin dabei. „Diese Förderung ist besonders wertvoll für mich“, sagt Häberlein. Je mehr Expert:innen sich einer wissenschaftlichen Fragestellung widmen, desto schneller geht es voran.

Nur wenige Expert:innen weltweit
Häberlein selbst zählt zu den wenigen weltweit ausgewiesenen Fachleuten für die Molekularbiologie des Leberegels und beschäftigt sich daneben intensiv mit einem weiteren Trematoden – parasitär lebende Saugwürmer – dem Pärchenegel Schistosoma mansoni. Auch dieser Parasit verursacht eine schwere vernachlässigte Tropenkrankheit, die Schistosomiasis, auch Bilharziose genannt. Simone Häberlein war schon in der ersten Förderphase von DRUID mit einem Teilprojekt vertreten und wichtige Erkenntnisse dieser Arbeit sind in ihre Habilitation eingeflossen.
Gerade sieht sie sich im Flow, in einem perfekten Einklang zwischen sich und ihrer Wissenschaft. Simone Häberlein konzentriert sich auf die Grundlagenforschung, die essentiellen Erkenntnisse, ohne die eine praxisorientiertere Forschung gar nicht möglich ist. „Es geht mir darum, das Wechselspiel zwischen den Parasiten und den Wirten auf der Ebene der Genprodukte, der Transkripte und Proteine, im Detail zu verstehen.“ Erst danach kann das anvisierte neue Medikament tatsächlich entwickelt werden.
Neben „kreativ“ ist „spannend“ ein Wort, das Häberlein oft benutzt. Sie bezieht es auf die Biologie an sich, die „Wissenschaft von den Gesetzmäßigkeiten der belebten Natur“. Diese Regeln und Zusammenhänge zu ergründen, treibe sie an. Schon in der 8. Klasse wollte sie Biologie studieren und hat das dann an der Universität Erlangen umgesetzt.

Parasitologie seit der Diplomarbeit
Sehr breit sei ihr Interesse anfangs gewesen. „Ich habe doppelt so viele Praktika belegt, wie ich gebraucht hätte“, erzählt sie. „Zoologie, Geobotanik, Virologie, alles quer Beet.“ Während der Diplomarbeit hatte sie dann den ersten Kontakt mit der Parasitologie. Sie arbeitete mit Zerkarien – Wurmlarven, die sich durch die Haut in den Körper bohren und die man sich meist im Wasser einfängt. „Seither fasziniert mich Parasitologie“, sagt Häberlein. Nach der Promotion in Erlangen und drei Jahren als Postdoc in Leiden in den Niederlanden kehrte sie nach Deutschland zurück. Christoph Grevelding holte sie ans Institut für Parasitologie der Justus-Liebig-Universität Gießen. Dann kam DRUID.
Die Arbeit in diesem Forschungsprogramm impliziert auch zahlreiche internationale Kooperationen. „Wir konnten bereits Gastwissenschaftler:innen aus der Elfenbeinküste und aus Ägypten in unsere Arbeit einbinden und können so unser Wissen in betroffene Länder weitergeben“, berichtet Häberlein. Die Arbeit an vernachlässigten Tropenkrankheiten sei dringend – aus humanitären Gründen, aber auch, weil sich die Erreger ausbreiten.

Neue Bedingungen durch die Erderwärmung
Beispiel Schistosomiasis: Derzeit existiert dagegen ein gut wirksames Medikament, Praziquantel. Expert:innen gehen davon aus, dass die Erreger in absehbarer Zeit zunehmend Resistenzen dagegen ausbilden. Zugleich breiten sich die Erreger wegen der Klimaerwärmung aus. So hat die Schistosomiasis inzwischen Portugal und Korsika erreicht. „Wir sollten uns vorbereiten“, sagt Häberlein. „Darum bemühen wir uns, neue Wirkstoffe gegen Parasiten zu finden.“ Im Idealfall solche, die sich gleich gegen mehrere Wurmarten einsetzen lassen. Ob das möglich ist? Simone Häberleins Omics-Experimente könnten helfen, diese offene Forschungsfrage zu beantworten.



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